Weihnachts- Imagination

Michael Eggert:

Konstellation zum 25. 12. 2014
Einen der sehr intimen Vortragszyklen (1) Rudolf Steiners hat Ton Majoor vor einigen Tagen via Kommentar in die Diskussion eingeführt- für mich mal wieder einer dieser Zyklen, die irgendwann gelesen in meinen persönlichen Hintergrund getreten sind und jetzt wirklich, staunend angeschaut, wie neu aufgefasst, ganz anders gelesen werden. Es ist, nebenbei gesagt, auch einer dieser Vortragszyklen, in denen es ausschließlich um „geistige Wesen“ geht - in einer durchaus völlig aufgespaltenen, dualistischen Darstellung Steiners, die zwischen dem Alltagsbewusstsein und dem Erleben dieser „Wesen“ wie zwischen zwei Welten pendelt, aber zugleich auf höchst konkrete Art und Weise eine Schulung vorstellt, die eben diese vorgetragene dualistische Weltsicht überwinden soll, falls sich der Leser darauf einlässt - und falls er die notwendige Kompetenz in Bezug auf meditativ gerichteten Willen mitbringt. Es gibt feinere, beim Durchlesen kaum bemerkbare Hinweise von Steiner für den real Praktizierenden, die als solche auch nur dann erkennbar sind, wenn bereits das Licht nüchterner Bewusstheit auf bestimmte Schritte der inneren Entwicklung geworfen worden ist. Erscheint es häufig schon schwierig, den reinen Hinweis- Charakter der bildhaften Beschreibungen Steiners zu begreifen, spricht er in diesem Text doch eindeutig mitten aus den Prozessen heraus, die Meditierende in der einen oder anderen Form, früher oder später, teilweise schmerzhaft und hemmend erleben. Rudolf Steiner gibt praktisch eine Art Kompass für Reisende in dieser Region vor- unwegsame Gegenden für Typen, die sich nicht abschrecken lassen.

Nehmen wir als Beispiel die von Ton zitierte Textstelle, die sich zunächst mit dem imaginativen Erleben beschäftigt: "In keinem Augenblick - und die Dinge wirken außerordentlich suggestiv - darf das Bewusstsein schwinden, man habe es doch nur mit seiner eigenen Schöpfung zu tun. Und dieses Bewusstsein muss nun wiederum ein Gegenstand der Meditation und Konzentration selbst werden.

Die bildhaften Erfahrungsebenen sind demnach immer auch als Nach- Außen- Stülpung innerer Einsichten zu verstehen. Nicht jeder hat gleichermaßen die Neigung, ins Bildliche zu gehen- Andere mögen davon angezogen werden. Es entstehen in der Arbeit z.B. an den Chakren innere und äußere Quasi- Räume, Anschauungsebenen, die als Projektionsflächen für Inhalte dienen, mit denen man sich aufs Äußerste intensiviert beschäftigt hat. Es bleibt aber, trotz einiger Vorbereitungen, fraglich, inwieweit das, was immer man als Projektion erlebt, realen Charakter hat- oder ob es doch z.B. von verborgenen geistigen Assimilationen (die man z.B. aus dem Werk Steiners selbst meinte als Vorstellung gewonnen zu haben) verzerrt wird. Es gibt natürlich viele korrumpierende und entstellende Einflüsse- vor allem die persönlichen Erwartungen und Vorstellungen, die eigenen Nöte, Ängste, Selbstdefinitionen und Erklärungsmodelle.

Das ändert sich, wenn die Kritikfähigkeit- das kritische Unterscheidungsvermögen- auch in der wortlosen Meditation als Fähigkeit in die geistige Tätigkeit einfliesst, vor allem aber eine weitere Steigerung des energisch- energetischen inneren Arbeitens möglich wird. Man beginnt sich selbst anzusehen in den Bedeutungsfeldern, in den Dimensionen der Imagination; man tritt in diese quasi- räumliche Denkebene ein, in der z.B. die Weite des eigenen kosmischen Selbst in Verhältnis gesetzt wird zu dieser einen, spezifischen Person, die man als Ich zu bezeichnen gewöhnt ist. Man beginnt sich in die Imagination selbst einzuleben- ohne sich darin zu verlieren, aber schon in einer Dynamik stehend, die durch die eigene Mitte strömt, aber aus Kraftfeldern schöpft, die man nicht mehr verorten kann, und von denen man ebenso wie in Regenschauern stehend (oder, wie Steiner schreibt, wie ein Blitz hinein ins Bildliche) weiß, dass man sie nicht hervor bringt:

 "Wir lernen auf der nächsten Stufe, die man technisch die Inspiration nennt, unsern geistig-seelischen Wesenskern erkennen, wie er drinnen steht in den schöpferischen Kräften des Kosmos selber…. Es fällt wie ein Blitz hinein in die ganze visionäre Welt etwas, was so wirkt, wie wenn es durchaus aus dem geistigen Kosmos käme - es kommt auch daher, das zeigt die Beobachtung selber -, was aber doch so zu uns spricht, wie wir das im gewöhnlichen, normalen Bewusstsein nur an dem Gewissen erkennen. An dem Gewissen haben wir einen Vergleich mit der Art und Weise, wie in der Inspiration zu dem imaginativen Bewusstsein gesprochen wird; dann aber tritt diese Imagination in die Inspiration über, und wir gelangen dadurch in eine wirkliche geistige, in eine wirkliche übersinnliche Welt hinein. (2)

Die Selbsterfahrung, sich in Kraftfeldern, die gestaltenden, willensartigen Charakter haben, als dynamisches Wesen zu erleben, das selbst immer schaffend und gestaltend lebt, sich aber zugleich in einer Gestalt - als das Wort- ausgesprochen und in dieser verloren hat, wird in einem großen, kosmisch- irdischen Feld verbildlicht- ein Anknüpfungspunkt für künftige Betrachtungen. Denn solche lebendigen Imaginationen sind ja nicht einfach Bilder, sondern geradezu Schichten von Bedeutungen in jeder Richtung, in jeder Hinsicht und auf vielen verschiedenen Ebenen; im gedanklich Verdichteten kann in jedes Detail gegangen werden, ohne dass das Verstehen je aufhören würde. Der wesenseigene Wahrheitssinn - was Rudolf Steiner in dem Vergleich mit dem Gewissen anspricht- wird in diesen Bedeutungsebenen zu etwas, was dem Innersten entspringt- etwas, was wir vielleicht geleugnet, aber nie ganz vergessen haben: Das Menschsein als orientierendes, weihnachtliches Licht.

Die lebendige Imagination - das, in das sich unser ganzes Sein erstreckt und eine Stille erzeugt, die aus Konzentration, Andacht und Erwartung besteht - wird zu einer „Krippe", in deren Mitte „das Kind“ entsteigt. Es ist buchstäblich ein Frühling mitten im tiefsten, Gott verlassenen, kargen Land. Eine Rose, die mittwinters entspringt. Der Mond am Himmel, zur empfangenden Sichel geformt, steigt über dem weihnachtlichen Feld empor. Das Marienhafte taucht die nächtliche Landschaft in die Stimmung ewiger, nun erfüllter Erwartung. Es durchklingt die Weite, die Nacht, und uns selbst. Das Kind, das geboren wird, sind wir.

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(1) Rudolf Steiner, Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen. Zehn Vorträge, Helsingfors, 3. bis 14. April 1912, und ein öffentlicher Vortrag: Der Okkultismus und die Initiation, Helsingfors, 12. April 1912 GA 136
(2) Rudolf Steiner, Der Okkultismus und die Initiation, GA 136, S.227-230