Die mystische Armut


Ach ja, wir wollen so allerlei, gute Christen, Buddhisten, Anthroposophen sein, irgendwie voran kommen, uns entwickeln und selbst verwirklichen, mit uns im Reinen sein, vor Anderen gut da stehen, Zeugen unserer Zeit sein, wahrhaftig und authentisch. Es klappt irgend wie nicht so richtig, wie wir in geheimen Stunden zugestehen müssen, wenn es hart auf hart kommt, aber das sind sehr geheime Stunden. Und selbst wenn, trösten wir uns damit, dass es doch besser wird und wir gerade etwas aufgehalten sind, angespannt, unterbrochen, gestört. Wenn man uns nur ließe, dann wäre es ganz anders, wenn wir unter anderen Umständen leben könnten, wenn wir endlich mal Ruhe hätten, wenn. Aber es geht doch im Prinzip voran, in Teilaspekten, wenn auch langsam und nur in sehr kleinen Teilen. Demnächst wird es anders. Wir müssen nur noch eine Methode und Situation finden, in der die Ruhe eintreten kann, die wir brauchen, um zur Ruhe zu kommen. Immerhin wissen wir eine Menge darüber, was passieren würde, wenn wir die Ruhe hätten, wenn wir - vielleicht sogar - erleuchtet wären, wenn wir "Geistwelt erleben" würden. Wir haben uns informiert. Eigentlich stehen wir kurz davor.

Da stösst es uns merkwürdig auf - wir, die wir doch immer auf inneres Wachstum setzten -, dass jemand wie A.H. Almaas plötzlich das Neue Testament heraus holt (im 5. Band seiner "Diamond Heart - Serie ("Inexhaustible Mystery") und die Armut betont: "Learning to be poor, to live without attachment..".

Es geht um Wissen und um Kenntnisse, um meditative Praktiken und Ziele, letztlich um alles, was wir taten, um endlich voran zu kommen: "Thus, the way of poverty includes nonattachment to all levels of inner possessions too." Wie kann man das alles fallen lassen? Almaas sagt klar und deutlich, dass dieses Denken über inneres Wachstum letztlich nur eine Variante unserer bekannten Konsumgewohnheiten ist, nur ein Austausch des Vorzeichens ins Nicht-Materielle, ohne dass sich substantiell etwas geändert hätte: "We tend to think of the spiritual path the way we think of any other endeavor, as a way of gaining, a way of accumulation. We believe, directly or subtly, that to progress on the spiritual path is a matter of having spiritual things instead of material things. We believe realization is a matter of accumulating spiritual experiences, insights, visitations, inner riches, inner capacities, inner accomplishments, and so on."


Das Klammern an Dinge und Besitztümer wird nur durch "spirituelle Werte" ersetzt, selbst dann, wenn überraschend doch "geistige Erfahrungen" einsetzen sollten: "But then, as we begin to have experiences of reality, of essence, of awakening, the ego wants to possess these too. We believe that essence, spirit, and inner states belong to us, that we accomplished them. Havingness is back again."

Stattdessen empfliehlt Almaas, diese Erfahrungen so gelassen zu nehmen, wie jemand, der bisher kein Wasser wahrgenommen hat, und jetzt im vorgerückten Alter entdeckt, dass er bis zum Knie darin steht. Er bemerkt jetzt, dass er nass ist, aber sonst nichts weiter: "Rather, poverty means that we do not possess spiritual experiences or material things. We realize that we don’t own them; when they come, they come, when they go, they go." Das Wasser ist ein Element, das uns bewusst wird, das uns "besucht"- es ist keine eigene Eigenschaft: "We treat them ("die Erfahrungen") as visitors, as guests."

Die "Armut" im Geiste ist die, sich die Dinge und Erlebnisse nicht anzueignen, sondern sie wie Gäste zu beherbergen und wieder ziehen zu lassen. Wir müssen akzeptieren lernen, dass uns diese Erfahrungen nicht "gehören": "It is more accurate to say that we discover that all of our states and feelings and inner experiences don’t belong to us."

Wer meint, etwas gefunden zu haben, mit etwas fertig zu sein oder gar spirituelle Kompetenz erworben zu haben, ist nicht nur ein schlechter Gastgeber, sondern auch in Selbstverblendung befangen. Die, die tatsächlich Lernende sind, wissen, dass sie sich immer am Anfang des Lernens befinden: "The one who is finished never feels finished." Die, die Lernende sind, lernen vor allem in immer umfassenderem Sinne von ihrer tiefen inneren Armut- der Lernfortschritt besteht vor allem darin, gerade diese ertragen und akzeptieren zu können: "As the soul recognizes her truth—that as an individual soul she possesses nothing—she begins to experience the true condition of being an individual soul. And this is the condition of being totally empty, totally poor, totally incapable, totally lacking. This is the state of poor in spirit, traditionally referred to as mystical poverty." Das mystische Geheimnis besteht darin, dass in dieser tiefsten Armut das aufscheint, was gerade das Personhafte jenseits der Projektionen ausmacht, die menschliche Anmut, das wirkliche Gesicht: "As the soul recognizes her truth—that as an individual soul she possesses nothing—she begins to experience the true condition of being an individual soul. And this is the condition of being totally empty, totally poor, totally incapable, totally lacking. This is the state of poor in spirit, traditionally referred to as mystical poverty."